Merkels toller neuer Politikstil: Ein Missverständnis?
Mit Merkels Nichtentscheidungen kommt nichts wirklich voran. Und niemand ist je schuld, wenn es nicht läuft. Bei Corona wird das jetzt endlich sichtbar.
So kann es mit Corona nicht weitergehen.
Ungefähr das hat uns Angela Merkel am Sonntag bei Anne Will erzählt.
Aha.
Ich hatte das Gefühl ich sitze im Restaurant – und nach der Vorspeise kommt der Chefkoch und meckert über die versalzene Suppe.
Was ist da nur passiert?
Meiner Meinung liegt vieles an einem 16 Jahre alten Missverständnis.
Ich bin auf einem Internat aufgewachsen.
Ich weiß, es gibt sie. Die toxische Männlichkeit. Dort gab es z.B. die ungeschriebene Regel, niemals unbeaufsichtigt in die Reichweite eines älteren Mitschülers zu geraten. Denn die Kopfnuss war garantiert. Und das war nur die Spitze des Eisbergs.
Das ist das Eine.
Und dann gab es Gerhard Schröder und sein “basta”. Das hat er vielleicht ein wenig zu breitbeinig zelebriert. Aber man sollte die beiden Dinge trotzdem nicht verwechseln. Denn letztendlich war das eben auch sein Job. Allerdings sind sich (fast) alle Kommentatoren seit fast 2005 einig: Merkels neuer Politikstil sei ja so viel besser als Schröders Babo-Basta.
Denkaufgabe:
Wenn Du schon mal ein Team geleitet hast, kennst Du das vielleicht: Manchmal kommt die Eine ständig mit komischen Ideen. Der Andere mag gewisse Aufgaben nicht. Die Dritte ist mit der Gesamtsituation unzufrieden. Der Vierte will die Sache grundsätzlich ganz anders angehen. Die Fünfte kocht zur Zeit an einem eigenen Süppchen. Und der Sechste ist ständig krank.
Was nun?
Zum Chef gehen und über mal ordentlich über die Truppe meckern? Schließlich hat man selber gute Ideen – und will sie doch auch umsetzen. Aber unter solchen Umständen läuft es natürlich nicht. Das wird er doch sicher verstehen.
Demokratietheoretisch …
… ist genau das nun am Sonntag passiert: Die Anne Will Zuschauer sind der Chef und Frau Merkel die Teamleiterin, die sich wegen dem aktuellen Chaos über ihre Mitarbeiter beklagte.
Im Normalfall …
… wechseln Chef*innen nun einfach die Teamleitung aus. Das klingt gemein – es hat sich aber bewährt. Unter zwar nicht unter dem Stichwort “Mackertum”. Sondern als Prinzip „Verantwortlichkeit“.
In einer perfekten Welt …
… bräuchten wir all sowas natürlich nicht. Aber im hier und jetzt hat es bestechende Vorteile. Denn die Alternative wäre: Erst so lange nach einem lauwarmen Kompromiss zu suchen, bis Alle irgendwie einverstanden sind. Wenn es dann entsprechend lahmarschig vorangeht, ist das halt moderne Politik. Und falls es völlig schiefgeht, dann müsste man eigentlich alles so lange analysieren, bis man jedem Einzelnen sein genaues Quantum Verantwortlichkeit zuweisen kann.
Kingt lähmend?
Ja. Und sehr nach Deutschland seit 2005. Vor allem im April 2021. Denn das ist die Schattenseite von Merkels “neuem Politikstil”.
Bei Gerhard Schröder galt:
Schröder macht, was Schröder passt. Basta. Im Zweifel hieß das dann aber auch: Schröders wars! Basta. Beispiel Agenda 2010. Dafür wurde er dann abgewählt. (Und zu Putins Pudel, aber das ist eine andere Geschichte).
Merkel sagt nie „basta“.
Nachteil: Niemand gibt ihr je die Schuld für irgendwas.
Darin sind wir fast schon manisch.
Selbst nachdem sie selber sagte, sie habe das mit der “Osterruhe” verbockt, betonte nun wirklich jeder Kommentar dazu, dass die Anderen (MPs, Minister, etc.) ja auch dabei waren. Und damit mindestens genauso schuldig.
Bei Schröder undenkbar.
Von einer Osterruhe, mitten in der Nacht im Hauruckverfahren durch eine Sitzung gepeitscht, hätte man ihn niemals freigesprochen.
Erschreckendes Ergebnis:
Schröder war nach sieben Jahren schuld am Kosovo-Krieg, Hartz IV u.v.m.. Angela Merkel ist nach 16 Jahren an gar nichts schuld. Deswegen nennt man sie ja auch die Teflon-Merkel.
Ist das smart?
Für sie selbst natürlich schon. Denn auf diese Weise wurde sie nie ausgewechselt. Nicht umsonst regierte sie am Ende dann wohl mehr als doppelt so lang wie ihr Vorgänger.
Das Problem ist nur:
Was passiert, wenn niemand so recht verantwortlich ist?
Dieses Experiment …
… läuft gerade in der Küche unseres Co-Working Spaces. Und zeitgleich bestimmt in unzähligen WGs: Wenn es schief geht, dann ist eben das System schuld. Bei der Küche ist das einfach: Jede individuelle Verschmutzung ihrem genauen Verursacher zuzuweisen, ist praktisch unmöglich. Also wird sie übers Wochenende zugesperrt.
Bei einem Regierungssystem …
… ist das aber ein wenig heikler. Schon jetzt werden Stimmen laut, der Föderalismus, aka. die Kleinstaaterei sei an allem Schuld.
BULLSHIT!!!
In der gleichen Sendung, in der sie sich über das Corona-Chaos (ihrer) Regierung echauffierte, sagte die gute Frau Merkel dann auch ganz klipp und klar, dass sie all das selbstverständlich auch abstellen könnte. Ohne irgendwas am Föderalismus oder anderen Grundgesetz-Prinzipien zu ändern: Über ein Bundesgesetz zum Infektionsschutz können Bundeskanzler*innen jederzeit so gut wie jede denkbare Corona-Regel ziemlich haargenau festschreiben, Test- und Impfabläufe organisieren u.v.m. . Totallockdown und dann Null-Covid-Strategie wären, dank Richtlinienkompetenz, also null Problemo. Man müsste es nur machen. Und damit leben, dass im Zweifel feststeht: Merkel ist schuld! Basta.
Und was macht Frau Merkel?
Laut ihrem Sprecher befindet sie sich nun “in einer Phase des Nachdenkens”.
Über was?
Sie hat es doch selbst gesagt: Die Zeit drängt, Kompromiss funktioniert (diesmal) nicht, so geht es nicht weiter - und die Alternative ist absolut machbar. Was gibt es da noch zu sinnieren?
Get the Job done, Baby!
Denn das ist der Sinn der Richtlinienkompetenz: Es gibt jemanden, der sagt wo es langgeht. Und den man im dann im Zweifel abwählen kann. Bei allen 16 Länderchefs, inkl. querschießender Landräte ist das nur schwer (auf einmal) möglich. Mit bonierten Parteibossen gar nicht.
Deswegen:
Niemanden sollte stundenlang nachdenken müssen, wer genau nun inwiefern für das aktuelle Chaos verantwortlich ist. Dafür haben wir Frau Merkel gewählt. Es ist IHR Job, hier Entscheidungen zu treffen. Ein harter Job, das stimmt. Aber es gibt genügend Bewerber. Und wenn sie damit nicht klarkommt, muss sie asap Platz für jemanden Anderen machen.
Aha. Er will also wieder einen Schröder!
Da ist es wieder, dieses Missverständnis. Aber gut – dann lege ich die Karten eben auf den Tisch: Herr Söder erfüllt meine Anforderungen hinsichtlich Verantwortung zwar. Aber genau deswegen kann ich mich GEGEN ihn entscheiden: Ein großer Teil des CSU-Wahnsinns der letzten Dekade (Grenzpolizei, Polizeiaufgabengesetz, Herdprämie, Ausländermaut, Kreuzerlass, Windradverbote …) geht - ganz eindeutig - auf seine Kappe. Damit hat er mir gezeigt: Schwarzgrüner Kuscheltalk hin oder her: Wenns opportun ist, zieht er auch den größten Wirrsinn völlig gnadenlos durch. Deswegen kann ich kann sagen: Nein, Danke. Ohne lange Diskussionen, wer da eventuell noch so alles in der entsprechenden Sitzungen mit am Tisch saß: Er hat seine Kreuze ja eigenhändig angenagelt!
Und über den Rest …
… muss man m.E. nicht wirklich nachdenken. Deswegen weiß ich ganz genau, was ich will. Ich will Frau Baerbock. Und zwar genau aus den gleichen Gründen, aus denen diese Spiegel-Kommentatorin Herrn Habeck will: Ich will endlich wieder jemanden, der sich traut, im Zweifel auch mal an etwas schuld zu sein. Und bei Robert Habeck habe ich da große Zweifel.
Und ganz ehrlich:
Aus irgendwelchen Gründen heißt es, “Teflon-Merkel” habe in den letzten Jahren doch ganz gut funktioniert. Und gemessen an Trump, Bolsonaro & Johnson stimmt das vielleicht auch. Aber ist das der Maßstab? Deutschland sieht im Großen und Ganzen aus wie im Jahr 2005. Und das während Amerika und große Teile Asien digitalisiert wurden. Gab es in der Merkel-Ära auch nur ein einziges visionäres Projekt?
Natürlich nicht!
Denn erst mussten ja hunderttausend Kompromisse gemacht werden. Sonst wäre sie am Ende noch an irgendwas schuld gewesen. Elektroautos, Internetausbau, Klimarettung, EU-Reform, Wohnraumschaffung, Kinderbetreuung? Dümpelt alles seit Jahr und Tag so vor sich hin. Aber in den entsprechenden Sitzungen saßen ja sicher ganz viele mit am Tisch ...